Die letzten Wochen erschienen zahlreiche (mehr oder weniger gute) Artikel zum Thema “Raubverlage”, “Raubjournale”, und “Fake Science”:

Lästig wie Spam - mehr aber auch nicht

Ich bekomme praktisch täglich “Einladungen” zu solchen Raubjournalen. Das landet inzwischen einfach im Spam-Ordner. Ein erheblicher Teil schreibt sogar meist nur noch auf Chinesisch - das scheint die größte Zielgruppe zu sein.

Für die Wissenschaft selbst kein großes Problem

Wie in dem Forschung&Lehre-Artikel angemerkt, sollten Wissenschaftler die seriösen Quellen Ihres Fachbereichs kennen - und nur dort publizieren. Mit einer Publikation in einem Raubjournal macht sich eher der Forscher lächerlich, der darauf hereingefallen ist. Fällt ein Doktorand auf so etwas herein, so wurde er offenbar unzureichend betreut…

Aus den Tagesspiegel und Zeit Kommentaren oben habe ich daher den Begriff “Junk Science” übernommen. Ähnlich wie “Junk Food” ist derjenige selbst Schuld, der es konsumiert.

Schaut man jetzt auf Deutschland, so ist “Junk Science” kein großes Problem. Nach den Zahlen der SZ haben 5000 deutsche Wissenschaftler so publiziert (der Zeitraum der Zahl wird dabei leider nicht klar angegeben), weltweit 400.000. Das wären 1.25%. Nach den Scimago Country Rank kommen jedoch 5.7% der Publikationen in Journalen aus Deutschland, wir haben das Problem also vergleichsweise gut im Griff.

Ähnlich schaut es aus, wenn wir Personen anschauen. 5000 klingt erst einmal groß - aber es gibt etwa 400.000 Forscher alleine an den Universitäten in Deutschland (ohne Industrielle Forschung). Die OECD geht von über 660.000 Vollzeitstellen in Deutschland aus. Selbst wenn diese 5000 alle noch in der Forschung wären (und nicht bspw. ehemalige Doktoranden, die oben nicht mehr erfasst sind) - so reden wir also von 0.75% der Forscher (wahrscheinlich eher 0.5%), die jemals auf ein solches Raubjournal hereingefallen sind. Die Behauptung “warum viele Forscher … mitspielen” prominent auf dem SZ-Magazin ist also etwas übertrieben.

Gegen den “Publikationsdruck” helfen fragwürdige Junk-Veröffentlichungen nichts. Kein Gutachter wird so etwas akzeptieren. Solche Publikationen sind für eine akademische Karriere – zumindest in Deutschland – reine Zeitverschwendung, wenn nicht sogar schädlich. Hier ist die SZ also klar über das Ziel hinausgeschossen.

Wünschenswert wäre daher seitens der SZ eine stärkere Differenzierung zwischen akademischer Forschung und industrieller Forschung. Denn wie in den Artikeln mehrfach anklingt, gibt es industriell durchaus mehr Anreize, fragwürdig zu publizieren (bspw. Aspirin+C, Glyphosat). Doch dazu unten mehr.

Der Impact Factor ist einseitig, fachspezifisch, und fördert Monopole

Der Impact Factor hat in der Informatik keinen guten Ruf. Denn er wird von den großen Verlagen kontrolliert, und berücksichtig fast nur Journale von ebendiesen.

Wesentliche Teile der Forschung werden hier aber inzwischen auf hoch angesehenen Fach-Konferenzen veröffentlicht. Zum Teil werden wichtige Beiträge inzwischen sogar ohne peer review veröffentlicht. Hier zwei Beispiele:

Nach dem Impact Factor (und den großen Verlagen) sind dies wertlose Beiträge. Ebenso die bekannten Bücher von Donald Knuth (“The Art of Computer Programming”). Mehr als ein Indiz ist er daher nicht, und wie in den Artikeln erwähnt sind die Zahlen oft eh frei erfunden. Mindestens ebenso wichtig sind bekannte Autoren, Co-Autoren und Institutionen - und natürlich, wer etwas zitiert und verwendet hat.

Der Impact Factors bevorzugt die großen Verlage wie Elsevier, die damit ihre Quasi-Monopole zementieren und immer höhere Gebühren von den Universitäten kassieren.

Aktuell ist insbesondere Elsevier hier äußerst unverschämt, und zahlreiche Deutsche Universitäten haben ihre Abonnements gekündigt:

Hier wäre eine bessere Berichterstattung bei der Süddeutschen und anderen Zeitungen wünschenswert. Denn im Gegensatz zu den 57406.06 € - hier musste die SZ schon die Nachkommastellen anhängen, und die Jahre 2012-2017 addieren, um die Zahl größer wirken zu lassen - die angeblich cent-genau bekannt an den Raubverlag OMICS gezahlt wurden, reden wie bei Elsevier um Millionen, die unsere Universitäten pro Jahr zahlen sollen. Obwohl die Inhalte genauso wie die Begutachtung bereits ebenfalls von den Universitäten erbracht werden. Der echte Skandal ist die Preispolitik – und die Gewinnspannen – von Elsevier & Co! Die Verschwendung von Steuergeldern ab Raubverlage ist unschön, aber pro Wissenschaftler und Jahr wenige cent an “Lehrgeld”. Die gigantischen Summen, die Elsevier aus dem System derzeit herauspresst gehen weltweit über eine Milliarde pro Jahr.

Schwierig sind vor allem die Graubereiche

OMICS, Waset, und SciencePG sind einfach: man kann sie getrost ignorieren.

Schwieriger ist der Umgang mit Verlegern im Graubereich, wie beispielsweise MDPI und Frontiers Media. Diese sind wohl nicht auf eine Stufe mit obengenannten zu stellen, aber auch nicht ganz unumstritten.

MDPI hat mich mehrmals als Gutachter angefragt. Das kann man positiv interpretieren: anscheinend suchen sie qualifizierte Gutachter. Jedoch habe ich abgelehnt: MDPI erwartet das Gutachten innerhalb von einer Woche, andere Verlage geben hier üblicherweise 4-8 Wochen Zeit, da man ja auch andere Aufgaben zu erfüllen hat. Diese kurze Fristsetzung halte ich für nicht seriös. Und daher möchte ich nicht mit MDPI in Verbindung gebracht werden. Des weiteren versucht MDPI kritische Meinungen über sich zu unterdrücken statt die Probleme zu lösen.

“Frontiers in …” gehört zu Holtzbrinck, ist mir aber bisher nur wegen Spam aufgefallen. Auch das ist kein seriöses verhalten. Zudem gibt es Berichte, dass sie Editoren und Reviewer entfernen, die ihnen nicht genug annehmen. Während bei anderen Verlagen meist nur 10-30% der Publikationen akzeptiert werden, scheinen bei Frontiers 90% gut genug zu sein. Hier scheint also das Geschäft wichtiger zu sein, als die Wissenschaft, und auch dieser Verleger ist daher für mich ein No-Go.

Verhindern könnte man Raubverlage nur durch komplette Zensur

Es gibt meines Erachtens kein Gesetz, nachdem ein Raubverlag automatisch illegal wäre. Dafür ist die Definition viel zu unklar. Dennoch stehen manche gelegentlich vor Gericht, wegen irreführender und falscher Angaben (unauthorisierte Nennung von Namen, falsche Behauptung von Peer-Review) - die juristischen Mittel werden durchaus genutzt.

In anderen Fällen wären vielleicht auch eine stärkere juristische Maßnahmen gegen die Autoren denkbar. Jedoch ist nicht jede unsaubere Studie (man denke an das Beispiel Aspirin+C, das eben nicht mit Aspirin-ohne-C vergleicht) sofort Betrug, und mit geeignete Formulierungen (“hinweisen” statt “beweisen”) kann eh alles unscharf genug formuliert werden…

Aber gerade Journalisten sollten hier nicht nur “Panik machen” mit “Fake Science”, sondern auch über Lösungen diskutieren. In einem Großteil der aktuellen Berichterstattung vermisse ich aber genau dies: Lösungen. Denn ein Verbot dieser Verlage geht offenbar nicht, und eine weitere Monopolisierung ist auch alles andere als wünschenswert!

Journalisten müssten selbst kritischer (und selbstkritischer) berichten!

Während Wissenschaftler meistens schnell erkennen, ob eine Publikation und ein Journal seriös sind, scheint dies Journalisten oft viel schwerer zu fallen. Vielleicht sollten diese hier öfter bei vertrauenswürdigen Experten nachfragen, bevor sie die Presseerklärungen der Industrie übernehmen. “Schokolade macht schlank” stimmt halt vielleicht doch nicht, egal wie gerne man das hören würde (und darauf ist nicht nur die Bild-Zeitung hereingefallen).

Gerade bei Berichten über neue Medikamente und Therapien sollten Journalisten viel kritischer die Seriosität von Quellen hinterfragen. Ein wichtiges Beispiel hier ist die Homöopathie, und viele andere “alternative” Heilmethoden, wo es eben genau keine echten Belege gibt. Die Frage dabei aber ist, wie viele Journalisten hier den Mut haben, sich bei einem derartig heißen Thema kritisch zu äußern, und sich mit den Emotionen der Nutzer (und den Bot-Netzwerken der Homöopathie-Industrie) auseinanderzusetzen.

Aber eben auch wenn ein bekannter Pharma-Konzern die Wirksamkeit von Aspirin+C mit eben so einer fragwürdigen Junk-Studie zu belegen versucht, wäre es die Aufgabe von Journalisten laut “Fake Science?” zu fragen. Dann sinkt auch der Anreiz für Firmen, noch weiter so zu publizieren. Und ob das jetzt eine Internet-Journal, oder eine andere Internet-Seite ist, spielt da letztlich keine Rolle. Es gibt nun mal falsche Informationen im Internet, und man darf nicht alles glauben was geschrieben wird; und solange wir nicht eine Zensur wollen, werden wir diese Junk-Seiten nicht aus dem Netz entfernen können. Wir können nur auf die mangelnde Qualität aufmerksam machen, unser Vertrauen noch stärker an Personen statt an Verlage knüpfen (man kann heute durchaus die Reputation von Autoren recherchieren), und ansonsten fragwürdige Quellen konsequent ignorieren, und sollten dies noch konsequenter tun.

Gerade in Zeiten wo im Netz eben jeder jeden Unfug behaupten kann, müssen die Medien ihre Rolle ernsthaft wahrnehmen, hier aufklärend zu arbeiten. Wir sitzen letztlich im gleichen Boot: das Vertrauen in die Medien (“Fake News”) ist genauso gesunken wie in die Wissenschaft und Schulmedizin. Gerade deswegen sollten wir aber am gleichen Strang ziehen, zwischen zuverlässigen und unzuverlässigen Quellen unterscheiden, und eben nicht die verschiedenen Ressentiments gegeneinander ausspielen. Mit Artikeln wie “Die Wahre Wahrheit” die auf eine allgemeine Wissenschafts-Ablehnung zielen tut sich die SZ daher auch keinen Gefallen - durch unsaubere Zahlen (mal Personen, mal Publikationen), fehlende Differenzierung (akademische vs. industrielle Forschung), Übertreibung (“Unterwandern”, wenn es alle wissen) und Pauschalisierung. Aber diese Diskussion ist hoffentlich noch nicht zu Ende.